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Ausblick auf die Sendung Kultur und Kirche vom Donnerstag - Beten als Kommunikation

Ausblick auf die Sendung Kultur und Kirche vom Donnerstag - Beten als Kommunikation
Bild: Ausblick auf die Sendung Kultur und Kirche vom Donnerstag - Beten als Kommunikation

Es liegt viele Jahre zurück. Ich las ein kleines Büchlein, das sich mit dem Thema „Beten“ beschäftigt. Der Verfasser erzählt unter anderem von einer jungen Frau, die während des Dritten Reiches in einem Konzentrationslager war. Eines Tages erfuhr diese Frau, dass ihr Vater im Sterben liegt; sie bat den Kommandanten um Urlaub auf Ehrenwort. Der Kommandant wollte ihr den Urlaub gewähren unter der Bedingung, dass sie mit ihm schläft. Die Frau stand vor einer entsetzlichen Entscheidung. Sie erfüllte dem Kommandanten seinen widerlichen Wunsch, um vom sterbenden Vater Abschied nehmen zu können. Der Verfasser des Büchleins verurteilte die Entscheidung der Frau mit dem Hinweis, dass sie eine schwere Sünde begangen habe; sie hätte beten sollen.

Wer so redet, hat nicht begriffen, dass es Situationen in unserem Leben gibt, in denen moralische Werturteile nicht mehr greifen, da bleibt nur Mitfühlen und Mitleiden. Wer so redet, ahnt wohl kaum, in welch einem ungeheuerlichen Dilemma diese Frau stand.

Warum, erzähle ich diese Geschichte, die immer noch in mir eine ohnmächtige Wut aufsteigen lässt. Wer so urteilt, pervertiert, verfälscht das Gebet; er hat offensichtlich den naiven Glauben, dass sich mit dem Gebet alles regeln lässt. Wer so denkt, nimmt Gott in Dienst für seine Wünsche und Bedürfnisse.

Aber, was ist positiv gewendet, das Gebet. Beten ist eine Wesensäußerung des Glaubens, Bestandteil christlicher Existenz. Wo immer Menschen an Gott glauben, werden sie beten, sich an Gott wenden mit all dem, was sie bewegt; sie danken, sie loben, sie bitten und sie klagen vor Gott. Rechtes Beten geschieht in der Haltung, die Jesus im Garten Gethsemane Gott gegenüber praktizierte: „ …nicht wie ich will, sondern wie du willst!“. Beten ist Kommunikation mit Gott. Wir denken sozusagen vor Gott über unser Leben in all seinen Höhen und Tiefen nach.

Beten ist wie Atemholen der Seele, ist Trost und kann uns geborgen leben lassen, auch in schwierigen Situationen. Ich will es an einer persönlichen Erfahrung verdeutlichen. Vor Jahren musste ich mich einer schweren Operation unterziehen. Kein Arzt kann einem die Gewähr geben, dass alles gut ausgeht. Ich hatte natürlich Angst. Auf dem Weg zum Operationssaal fiel mir der Anfang eines Liedes ein, das in unserem Gesangbuch steht: „Du kannst nicht tiefer fallen als nur in Gottes Hand … „ (EG 533). Diese Worte waren mir Trost, sie gaben mir Kraft inmitten meiner Angst.

Aber Not lehrt nicht nur beten, sondern auch fluchen – ein Wort, das vielen bekannt ist. Ich kann das gut verstehen, dass Menschen bedingt durch schwere leidvolle Erfahrungen nicht mehr beten können. Wir sollten uns hüten, hier vorschnell zu urteilen. Da verlieren Eltern ein Kind, durch einen schweren Unfall ist jemand an den Rollstuhl gebunden, eine Frau verliert ihren Mann oder umgekehrt. Wir erfahren aus den Medien von Erdbeben, Flugzeugabstürzen, Zugunglücken, von Kriegen, die namenloses Leid über

viele Menschen bringen. Ich kann gut verstehen, dass Menschen angesichts des Leides in unserer Welt und persönlicher leidvoller Erfahrungen nicht beten oder glauben können.

Und niemand unter uns, auch wenn er noch beten kann im Angesicht des Leides, kann sich der Frage entziehen, warum lässt Gott, der doch ein Gott der Liebe ist, das Leid zu? Mit der Warum-Frage sind wir in guter Gesellschaft. Am Kreuz rief Jesus: „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“

Mit der Warum-Frage verbinden wir mit Gott allerdings auch unsere Allmachtsphantasien. Wir machen Gott für alles verantwortlich und entziehen uns der eigenen Verantwortung für vieles, das wir ändern könnten, etwa, wenn es um Gerechtigkeit, Frieden und den Umgang mit der Schöpfung geht.

Und schließlich wird bei der Warum-Frage übersehen, dass wir über Gott nicht verfügen können, dass wir mit all unseren Gottesvorstellungen Gott nicht erfassen können. Das meint der Theologe Dietrich Bonheffer, wenn er sagt: “Einen Gott, den es gibt, gibt es nicht“.

Viele Menschen haben mir immer wieder gesagt, sie scheuten sich, Gott anzuklagen. Meine Antwort: Wer Gott anklagt, der glaubt, der betet, der lässt das Gespräch mit Gott nicht abreißen. Wir dürfen uns, wo uns das Beten schwer fällt, wo uns die eigenen Wort fehlen, Hilfe holen in der biblischen Tradition, z.B. in den Psalmen, die ein großartiges Gebetsbuch sind.

„Wer mit Gott reden will, muss seine Arme um die Welt legen“. Dieses Wort von Martin Buber, will uns daran erinnern, dass zum Beten immer auch das Tun gehört, will uns sagen, dass wir nicht am Leid und Elend der Welt achtlos vorübergehen dürfen; denn sonst wird unser Beten zur Phrase. Der Einsatz für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung Gottes sind die andere Seite des Gebetes.

Wer betet, wagt den Sprung in die Geborgenheit. Nur im Vollzug des Betens erfahren wir die Gewissheit, die Sache des Herzens ist.

Hans Dieter Zepf, Pfarrer i.R.
Redaktion: rww
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